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Meine Antwort auf die Kritik von Massengeschmack-TV

Letzte Woche haben wir mein MoinMoin „Eigenen Sexismus und Rassismus eingestehen“ veröffentlicht. Diese Sendung wurde nun in einem rund zweieinhalbstündigen Video von Holger von Massengeschmack-TV kommentiert. Ich möchte darauf eingehen.

Zunächst einmal war ich überrascht, dass er unsere private Unterhaltung, die in Direct Messages auf Twitter stattgefunden hat, in seinem Video öffentlich wiedergibt. Wir haben immerhin schon häufiger zusammen gearbeitet und schätzen uns eigentlich, weshalb ich davon ausging, dass ich ihm etwas im Vertrauen schreiben könnte. Diese Dinge ohne Rücksprache zu veröffentlichen, finde ich menschlich enttäuschend. Außerdem hat er die Konversation nicht ganz richtig wiedergegeben. Er suggeriert, ich hätte generell kein Interesse an einem Diskurs und hätte die Einladung in sein Interview-Format deshalb abgelehnt. Es ging mir aber konkret um sein Format “Veto”, in dem ich nicht auftauchen wollte. Ich habe ihm im Vertrauen gestanden, dass ich die Entwicklung eines Teils seiner Zuschauerschaft und die Wahl seiner Gäste in den letzten Jahren kritisch sehe. Ich habe ihm außerdem dazu geraten, lieber mit Betroffenen über Rassismus oder Sexismus zu diskutieren.

Auch, wenn ich weder von Rassismus, noch Sexismus persönlich betroffen bin, sind das für mich sehr emotionale Themen. Viele behaupten, es sei doch völlig normal, dagegen zu sein. Es gibt aber Unterschiede zwischen der Einstellung und dem tatsächlichen Handeln. Ich bin deshalb der Meinung, dass man ein Bewusstsein dafür schaffen muss, was überhaupt als sexistisch oder rassistisch gilt. Dafür sollte man zunächst Betroffenen zuhören. Das haben viele von uns in den letzten Jahren getan. Danach kann man sich solidarisch zeigen und die Erkenntnisse verbreiten. In einer Gesellschaft wird es wohl immer Diskriminierungen geben. Wir sollten aber daran arbeiten, dass wir diese aufdecken und dafür sorgen, dass sie nicht durch Strukturen gefestigt werden. Dabei geht es auch um Denkstrukturen. In Holgers Antwort-Video auf mein MoinMoin habe ich einige solcher schwierigen Denkstrukturen gefunden, die mich wirklich geärgert haben. Ich wurde, zugegeben, sehr emotional. Die erste Fassung meiner Antwort musste ich größtenteils wieder löschen. Ich möchte versuchen, sachlich zu bleiben. Wenn ihr euch dazu äußern möchtet, bleibt bitte ebenfalls sachlich! Auch im Umgang mit Holger und seinem Kanal.

Nachdem ich Holgers Video gesehen habe, bin ich froh, seine Einladung abgelehnt zu haben. Ich möchte betonen, dass ich nicht der Meinung bin, dass jegliche Kritik an meinem Video albern ist. Allerdings erfordert eine Bewertung meines MoinMoins mit dem Ziel, meine Aussagen darin zu berichtigen oder zu widerlegen, ein gemeinsames Verständnis über die Grundlagen der Debatten zu Sexismus und Rassismus. Es hat mich erschrocken, wie scheinbar uninformiert Holger über diese Themen gesprochen hat.

Da es einige Passagen in Holgers Video gibt, die ich nicht uneingeordnet stehen lassen möchte, erläutere ich im Folgenden, weshalb ich diese Aussagen problematisch finde.

Holger sagt: „Wir leben in einer sexistischen Gesellschaft und das wird sich auch nicht ändern, weil Sex eine viel zu große Rolle spielt. Und das wäre ja auch schlimm. Sex ist eine ganz normale Sache zwischen Menschen.“

Holger verwechselt hier offenbar “Sex”, “sexualisiert” und “Sexismus”, bzw. glaubt er, dass diese Begriffe synonym verwendbar sind. Als Sexismus bezeichnet man jedoch die Diskriminierung, die Personen aufgrund ihres Geschlechts erfahren. Entsprechend ist Sex natürlich eine “ganz normale Sache zwischen Menschen”. Während wir die Tatsache bekämpfen müssen, dass wir in einer sexistischen Gesellschaft leben, in der Frauen und Menschen, die sich keinem binären Geschlechterkonstrukt zuordnen möchten, diskriminiert und benachteiligt werden.

Die weiteren Äußerungen von Holger zum Thema Sexismus offenbaren eine problematische Betrachtungsweise, die in seinem Video häufig deutlich wird: Holger bewertet ein Thema ausschließlich aus seiner Sicht, ohne sich mit dem Diskurs dahinter auseinanderzusetzen. Scheinbar fragt er noch zwei, drei Bekannte und wenn er danach feststellt, dass ein Problem bei diesen Personen nicht existiert, liegen alle, die zu diesem Thema etwas anderes behaupten, falsch. Ich habe in meinem Video gesagt, dass der Spruch „Ist doch schön, wenn der Mann auch mal im Haushalt hilft“ das Produkt einer sexistischen Gesellschaft sei. Holger sagt: „Ich kenne keine, wo der Mann ein Macho ist und die Frau muss in der Küche das Essen machen. Das ist ein Gesellschaftsbild von gestern.“ Es ist meiner Meinung nach weltfremd zu glauben, dass diese veralteten Rollenbilder komplett der Vergangenheit angehören.

Ich habe weiterhin angemerkt, dass es ebenso sexistisch sei, einer Frau in einem freizügigen Outfit zu sagen, sie würde es provozieren, angebaggert zu werden. Holger sagt sinngemäß: “Wenn eine Frau meint, in eine Disko zu gehen mit tiefem Ausschnitt, sodass die Brüste fast schon rausgucken oder sie einen sehr kurzen Rock hat, dann macht diese Frau das ja aus einer bestimmten Absicht heraus.” Auch Frauen in seinem Umfeld würden das so sehen. Plus: „Man kann Triebe nicht verbieten.“
Diese Einstellung finde ich schwierig. Alle Menschen müssen in der Lage sein ihre “Triebe” zu kontrollieren. Die Kleidungswahl einer anderen Person ist keine Aufforderung zu oder Rechtfertigung für Belästigung jeglicher Art.

Ebenso problematisch wie die Aussagen zu Sexismus sind Holgers Äußerungen zum Thema Rassismus. Über einige Zitate aus seinem Video war ich richtig erschrocken, weil sie offenbaren, dass die gesellschaftliche Debatte, die z. B. im vergangenen Sommer rund um die Black-Lives-Matter-Proteste stattgefunden hat, scheinbar vollkommen an Holger vorbeigegangen ist.
Zu den entsprechenden Zitaten von Holger verlinke ich deshalb im Folgenden Quellen, in denen man sich zu den jeweiligen Themen informieren kann, und versuche, einzuordnen, warum diese Äußerungen problematisch sind.

„Was heißt denn struktureller Rassismus?“

Struktureller Rassismus findet dort statt, wo Menschen aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Namens diskriminiert werden, bspw. indem sie aufgrund dieser Merkmale als Mieter*innen für eine Wohnung ausgeschlossen werden: bpb.de/mediathek/267404/strukturellem-rassismus-entgegentreten

In Holgers Video gewinnt man den Eindruck, er hätte durch mein MoinMoin zum ersten Mal vom Begriff „struktureller Rassismus“ gehört. Wenn man sich zu einem Thema derart kritisch äußert, dann sollte man sich auch damit auseinandersetzen. Sei es durch das Lesen von Fachzeitschriften, Studien, Büchern zum Thema oder man schaut eine Reportage, Doku oder sonstige Videos. Wer sich auch nur einen Tag lang mit Rassismus beschäftigt, wird auf den Begriff „struktureller Rassismus“ mehrfach stoßen.

Er sagt auch: „Das N-Wort heißt doch einfach schwarz.“

Man muss betonen, dass Holger ebenfalls gegen die Verwendung des N-Wortes ist.
Ich habe in meinem MoinMoin gesagt, dass der Begriff als er früher verwendet wurde auch schon rassistisch war, hierzu aber das Bewusstsein fehlte. Holger sieht das nicht so und meint, dass das Wort ja einfach von „schwarz“ komme. Zur Erklärung: Das N-Wort ist ein Begriff, den europäische Kolonisierer erfunden haben, um Menschen zu bezeichnen, die während der Kolonisierung versklavt wurden. Er ist Ausdruck von Macht und Unterdrückung und sollte Schwarze als etwas Anderes, Exotisches bezeichnen, die klar von der weißen Bevölkerung abzugrenzen sind: bpb.de/gesellschaft/migration/afrikanische-diaspora/59448/das-n-wort

„LGBT… wie auch immer, Schwule, Lesben und Transen!“ „Was heißt denn nun BIPoC schon wieder?“

Es ist völlig okay, nicht immer alle Begriff zu kennen. Es ist auch okay, das Gendern kritisch zu sehen. Holger spricht aber sehr süffisant darüber und das ist wiederum nicht okay. Denn es zeigt, dass es ihn nervt, dass von Rassismus oder Sexismus betroffene Menschen darauf bestehen, nicht-diskriminierende Bezeichnungen für sie zu finden. Ob man hier schon die richtigen Lösungen gefunden hat, wird sich zeigen. Ich habe auch in meinem MoinMoin gesagt, dass ich bezweifle, dass dieser Prozess mit dem aktuellen Stadium abgeschlossen ist. Wenn sich Holger aber schon über den Prozess an sich lustig macht und die Verwendung dieser Begriffe mehrfach als „Modeerscheinung“ oder „Zeitgeist“ abtut, zeigt er, wie wenig er die Gefühle anderer ernst nimmt.

„Dass Asiaten oftmals sehr gleich aussehen, das ist mehr als ein Klischee, das ist ja Fakt. (…) Wenn das jetzt Leute als rassistisch bezeichnen, dann ist das bisschen albern.“
Wenn Betroffene sagen, dass sie sich rassistisch angegriffen fühlen, ist es respektlos, das als “albern” abzutun.

„(…) Unwort Alltagsrassismus, das ich ein ganz schlimmes Wort finde, das Dinge dramatisiert (…)“

Im MoinMoin habe ich Beispiele, die Betroffene im Zusammenhang mit Alltagsrassismus erlebt haben, aufgeführt. Beispielsweise, dass viele Schwarze die auf ihre Haare bezogene Frage „Darf ich mal anfassen?“ als rassistisch empfinden. Holger spricht in diesem Zusammenhang von „dramatisieren“. Das zeigt, dass Holger auch den Begriff Rassismus für sich falsch definiert. Für Holger sind Personen offenbar nur rassistisch, wenn sie Menschen mit einer anderen Hautfarbe buchstäblich hassen. Alles andere hat für ihn nichts mit Rassismus zu tun. Mit dieser Argumentation sind wir auf dem Stand der Diskussion von vor über 30 Jahren. Da waren Rassisten noch die Typen in Springerstiefeln, die „Ausländer“ verprügeln. Wer gegen die war, hatte ein reines Gewissen und fand es absurd, als Rassist bezeichnet zu werden. Laut dieser Definition hatten wir damals kein Rassismusproblem und haben es auch heute nicht wirklich.

Wie falsch diese Einstellung ist, zeigen hunderte, tausende Stimmen von Betroffenen in Deutschland und Millionen weltweit, die in den letzten Monaten und Jahren endlich gehört wurden und werden und die entschieden protestieren. Holgers Einstellung kann man nur vertreten, wenn man von BLM noch nie was gehört hat, wenn man sich nie mit strukturellem Rassismus auseinandergesetzt hat, wenn man sich in den letzten Jahren ausschließlich in seinem eigenen Dunstkreis informiert hat.

Ich habe in meinem Video betont, dass man eingestehen kann, selbst rassistisch gehandelt zu haben, ohne gleich Rassist zu sein. Das ist meiner Meinung nach wichtig, um deutlich zu machen, dass wir viel dazulernen müssen. Auch ich habe mich in der Vergangenheit rassistisch und sexistisch verhalten, wie ich in meinem MoinMoin deutlich gemacht habe. Holger sagt, dass man Rassist ist, wenn man rassistisch handelt. Weil für Holger Rassismus eben erst kurz vorm Hakenkreuz beginnt. Er sagt „Jemand der einen Mord begeht, ist ein Mörder.“ Dieser Vergleich enttarnt das verengte Verständnis seinerseits. Es geht – um in seinem Vergleich zu bleiben – nicht nur um Mord, sondern auch um Totschlag, Körperverletzung, Beleidigung, Diebstahl. Über diese Delikte muss genauso diskutiert werden und Täter*innen müssen entsprechend verurteilt werden. Rassismus hat viele Facetten, nicht nur die Ausprägung „Ich hasse Menschen mit anderer Hautfarbe“.

Holger sagt, dass es gegen Menschen polnischer oder rumänischer Abstammung keinen Rassismus geben könne, da sie weiße Haut hätten. Menschen werden nicht nur wegen ihrer Hautfarbe, sondern auch wegen ihrer kulturellen Identität (Sprache, Kleidung, Auftreten) abgewertet und ausgeschlossen. Hier lohnt ein Blick auf die Definition von “Rassismus”. Etwa von der Bundeszentrale für politische Bildung: bpb.de/gesellschaft/migration/dossier-migration/223738/rassismus

Holger ist meiner Meinung nach KEIN Rassist. Er setzt sich schon lange gegen Rassismus ein. Er sollte aber lernen, dass die Ausprägungen von Rassismus vielschichtiger sind, als er das für sich persönlich einfach mal so definiert hat. Alltagsrassismus und struktureller Rassismus sind vor allem keine „hippen Modeerscheinungen“. Es reicht nicht, wie er manchmal suggeriert, mit einem Schwarzen und einem Schwulen zu sprechen, die anderer Meinung als die antirassistische Bewegung sind, um zu beweisen, dass das alles Quatsch sei.

Man kann mir vorwerfen, dass es nichts bringt, Andersdenkende auszugrenzen, abzuspalten. Das ist ein legitimer Kritikpunkt. Ich sehe das mittlerweile eben anders. Wir haben lange genug rassistisches Gedankengut toleriert. Wir wollten niemandem auf die Füße treten. Wir haben Rassismus in unsere Parlamente geladen. Rassistisches und sexistisches Gedankengut muss entlarvt und klar benannt werden. Wir müssen eine klare Grenze ziehen und sagen „Es mag sein, dass ihr so denkt, aber so geht’s nicht.“ Das ist spalterisch, ja. Ich habe aber auch betont, wie wichtig es ist, Menschen Chancen und Zeit zu geben, sich zu ändern. Aus der Debatte zu lernen. Fehler einzugestehen. Den eigenen Rassismus und Sexismus einzugestehen. Menschen nicht sofort mit der Mistgabel hinterherzurennen, wenn sie sich mal rassistisch oder sexistisch verhalten. Und ich meine Rassismus und Sexismus im Sinne der gängigen Definitionen. Nicht nach der Holger-Definition, die er für sich aufgestellt hat und alle seine Argumente danach ausrichtet.


Zur weiteren Auseinandersetzung möchte ich euch eine Auswahl von Büchern, Links, Podcasts und Social-Media-Profilen empfehlen, die wir Team-intern zusammengestellt haben, und die sich mit den genannten Themen auseinandersetzen. Nicht, damit ihr danach alle mein MoinMoin abfeiert. Sondern, damit wir in Zukunft bei Debatten zu den entsprechenden Themen informiert miteinander diskutieren können.


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